Eine Frage von Energienutzung: Der Fleischkonsum

Die Frage, ob Fleischkonsum vertretbar sei, entzweit seit langem die Gemüter. Im Folgenden geht es nicht darum, den Verzehr von Fleisch zu verteufeln, sondern es soll erklärt werden, warum es im Sinne optimaler Nutzung der in Nahrungsketten zur Verfügung stehenden Energie vernünftig ist, den Konsum von Fleisch einzuschränken. Besonders dieser Gesichtspunkt ist ökologisch höchst relevant, kommt aber in den vorwiegend von ethischen und religiösen Argumenten geprägten Debatten um die Vertretbarkeit von Fleischkonsum meistens zu kurz. Medizinische und ernährungsphysiologische Aspekte müssen im Folgenden ausgeklammert bleiben.
Wir erinnern uns: An der Basis einer Nahrungskette stehen die Erzeuger, also die Photosynthese betreibenden grünen Pflanzen. Sie fangen die Strahlungsenergie der Sonne ein und nutzen sie, um aus Kohlendioxid, Wasser und mineralischen Nährstoffen energiereiche Biomasse aufzubauen. Damit stellen die Pflanzen die energetische Grundversorgung eines Ökosystems sicher. Auf den nächsten Stufen der Nahrungskette stehen die vollständig von den energiereichen Erzeugnissen der Erzeuger abhängigen Verbraucher. Sie geben die von den Erzeugern eingefangene Energie im Ökosystem weiter. Die ersten Verbraucher (Verbraucher 1. Ordnung) in der Nahrungskette sind die Pflanzenfresser, die sich von Pflanzen ernähren, gefolgt von den Verbrauchern 2. Ordnung, den Fleischfressern. Der Mensch ist in die Nahrungsketten unseres Planeten eingebunden und gehört, sofern er Fleisch verzehrt, zu den Verbrauchern 2. Ordnung.
Nahrungsketten sind in ihrer Länge beschränkt, d. h. sie umfassen meist nicht mehr als drei Ernährungsstufen. Ein Beispiel: Gras – Antilope – Raubkatze, oder auch: Gras – Rind – Mensch. Der Grund ist der massive Schwund der verfügbaren Energie entlang der Nahrungskette. Jede Ernährungsstufe gibt nämlich nur maximal 10% der übernommenen Energie an die nächste weiter. Der Hauptanteil geht als Atmungswärme und als Biomasse in Form von Abfall verloren. Nach Durchlaufen von zwei bis drei Stufen ist von der über die pflanzlichen Erzeuger in die Nahrungskette eingespeisten Energie so wenig übrig, dass sie nicht mehr ausreicht, weiteren Verbrauchern das Leben zu ermöglichen. Wie sagt man so schön? „Den Letzten beißen die Hunde“?
Was hat dies nun alles mit unserem Fleischkonsum zu tun? Die geringe Effizienz der Energienutzung in Nahrungsketten spiegelt sich auch im Nahrungsbedarf des Menschen bei vorwiegend fleischlicher Ernährung wider. Würde ein Mensch „als Fleischfresser“ um 1 kg Muskelmasse zunehmen wollen, müsste er 21 kg Rindfleisch essen. Für deren Erzeugung würden wiederum 170 kg Grünfutter benötigt. Diese Futtermenge zu produzieren erfordert entsprechende große Anbauflächen, vom nötigen Wasserverbrauch gar nicht zu reden. Hieraus erwächst ein für uns zunehmend bedrohlich werdendes ökologisches Problem, denn mit der weltweit steigenden Nachfrage nach Fleisch steigt auch der globale Bedarf an Fläche für den Futteranbau dramatisch an. Diesem Bedarf werden zunehmend die tropischen Regenwälder und andere ökologisch wertvolle Ökosysteme geopfert. Die negativen Konsequenzen dieser Zusammenhänge für die Klimaregulation und die Biodiversität auf unserem Planeten kennen wir.
Die Schlussfolgerung aus all dem? Es ist aus Gründen möglichst effizienter Nutzung der in der Nahrungskette verfügbaren Energie für uns Menschen ein Gebot der Vernunft, uns vor- wiegend direkt von den Erzeugern (d. h. ve- getarisch) zu ernähren statt des Umwegs über Fleischkonsum. Übrigens zeigen die Struktur und die chemische Zusammensetzung fossiler Zähne, dass der Mensch am Anfang seiner Stammesgeschichte Pflanzenfresser war und er erst im Laufe der weiteren Evolution zum Allesfresser wurde.
Hier ergibt sich eine interessante Parallele zur Aussage der Bibel, nach der Gott den Menschen und den Tieren zunächst die Pflanzen als Nahrung zuweist: „Und Gott sprach: Ich habe euch gegeben allerlei Kraut, das sich besamt, auf der ganzen Erde und allerlei fruchtbare Bäume, die sich besamen, zu eurer Speise und allem Getier auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel und allem Gewürm, das da lebt auf Erden, dass sie allerlei grünes Kraut essen.“ (1. Mose 1,29-30). Allerdings ändert sich dies im Lauf der Geschichte, denn nach dem Ende der Sintflut spricht Gott: „Alle Tiere auf der Erde, alle Vögel am Himmel und alle Fische im Meer werden sich vor euch fürchten müssen, denn ich gebe sie in eure Hand. Von jetzt an könnt ihr euch von ihrem Fleisch ernähren, nicht nur von den Pflanzen, die ich euch als Nahrung zugewiesen habe.“ (1. Mose 9,2-3).
Der Mensch ist also sowohl aus evolutionsbiologischer als auch aus biblischer Sicht ein Allesfresser, und Mischkost somit die für ihn artgerechte Ernährungsform. Biologisch betrachtet erübrigt sich also die Frage, ob Fleischkonsum ethisch korrekt ist. Sie stellt sich vielmehr in ganz anderer Richtung. Die auf die Produktion von Billigfleisch ausgerichtete heutige Nahrungsmittelindustrie betrachtet Tiere als Massenware und beraubt sie damit ihrer Würde.
Dies aber ist aus ethischer Sicht untragbar. Gott gibt zwar, wie oben zitiert, die Tiere in unsere Hand und erlaubt uns, sie zu nutzen, aber er legt uns damit auch die Verantwortung, ja die Verpflichtung auf, sie als Gottesgeschöpfe wahrzunehmen und zu achten und bei ihrer Nutzung mit ihnen in jeder Hinsicht respektvoll und pfleglich umzugehen.

Prof. Dr. Manfred Kluge