Lebt wohl – Adieu Seeheim!

Marion Huth

Zuerst fing‘s ganz klein an. Das Studium der Kirchenmusik war für mich nicht so toll und, hauptberuflich Kirchenmusikerin zu sein, nahezu unvorstellbar. Vielleicht doch lieber eine Ausbildung zur Konditorin oder Köchin? Oder „Vollzeitmama“? Nach meiner B-Prüfung 1985 begann ich mit einer C-Stelle in Mainz. Gottesdienste, Kindergottesdienste, Kirchenchor und Kinderchor waren meine Aufgaben. 1986 wurde mir die C-Stelle in Seeheim zugesprochen. „Vermutlich wird der Kirchenchor aussterben“, so die Einschätzung einer Chorsängerin.
Mit den Jahren erblühte die Kirchenmusik in allen Bereichen. Der Kirchenchor wuchs und verjüngte sich stetig. Singen in Gottesdiensten, Ständchensingen, Konzerte, Ausflüge und Chorfahrten. Eine besondere Auszeichnung erhielt der Kirchenchor mit der Ehrung der Zelter-Plakette am Pfingstsonntag 2014. Der Singkreis entwickelte sich zum Gospelchor Zwischentöne und wir konnten größere Auftritte mit der Mark Schwarzmayr Band wagen. Wir hatten so schöne Chorwochenenden im Taunus … Vor 22 Jahren wurde in einer Gemeindeversammlung der Wunsch geäußert, dass ein Kinderchor gegründet werden sollte. Nachdem der Erweiterung meines Dienstauftrages nichts mehr im Wege stand, konnte ich mit dem Aufbau des Kinderchors beginnen. Wir führten Kindermusicals auf (für die mein Mann tolle Kulissen baute), fuhren zu Probenwochenenden, machten Ausflüge, feierten jahreszeitliche Feste und vieles mehr. Es waren viele schöne Jahre des gemeinsamen Singens in den Chören. Viele wunderbare Auftritte, CD-Aufnahmen, Lachen, Weinen, gemeinsames Wachsen und Leben. Es sind so viele Menschen, mit denen ich singen durfte, so viele, die mir ihre Stimmen und ihre Zeit und Energie anvertraut haben. Herzlichen Dank euch allen. Im Rahmen der Dekanatsstrukturreform ergab sich die Möglichkeit, eine hauptamtliche B-Stelle im Dekanat einzurichten. Die Kirchenmusik in Seeheim hatte sich in allen Bereichen so gut entwickelt, dass 2003 die C-Stelle in eine B-Stelle umgewandelt wurde (ein einmaliger Vorgang in unserer Landeskirche!).Ganz und gar nicht gut war der Zustand der Orgel (Bosch Baujahr 1960). Sie war 1985 von der Nord- auf die Westempore versetzt worden. Heute würde man das als „Bausünde“ bezeichnen. Nach langwierigen Diskussionen mit dem Kirchenvorstand, Erstellen von Gutachten (Dr. Balz) und Planung mit Orgelbaumeister Michael Bosch (Sohn des Erbauers Werner Bosch) gab der Kirchenvorstand seine Zustimmung, die Orgel umzubauen und einen neuen Spieltisch in Auftrag zu geben. Ein sehr großes und kostspieliges Projekt. Der Kirchenvorstand hatte zwar seine Einwilligung gegeben, allerdings lag die ganze Verantwortung inklusive Regelung der Finanzierung bei mir. Das ging natürlich nur mit Unterstützung. Und so etablierten sich die „Orgelmädels“. Vier Frauen, die innerhalb von fünf Jahren das Projekt „Alte Orgel – ganz neu“ realisieren konnten. Im April 2008 war die Kirche renoviert worden und zur Wiedereröffnung erstrahlte die „Alte Orgel – ganz neu“. Dank der großen Spendenbereitschaft der Seeheimer Gemeinde, die in den Gottesdiensten großartig und gerne singt, konnte der Orgelumbau nach wenigen Jahren bezahlt werden. Es war sogar soviel Geld zusammengekommen, dass zwei neue Register (leiser 8 Fuß im Pedal und Trompete 8 Fuß im Hauptwerk) finanziert werden konnten. In den Gottesdiensten wurde schon immer sehr gut gesungen. Nachdem die Kirchengemeinde Malchen sich mit der Seeheimer Kirchengemeinde zu einem Gemeindeverbund zusammen geschlossen hatte, kümmerte ich mich auch dort um die Reinigung und Neuintonierung der kleinen Walcker Orgel (1956) durch den Orgelbaumeister Rainer Müller (Merxheim). Eine weitere Umstrukturierung der kirchenmusikalischen Stellenbeschreibung führte dazu, dass ich 2014 für die Stelle als Dekanatskantorin angefragt wurde. Nach einigem Zögern stimmte ich zu. Herr Portugall spielt seitdem zwei bis drei Gottesdienste im Monat zu meiner Entlastung.
Mit vielen Musikern und Musikerinnen durfte ich in den über 35 Jahren in Seeheim Gottesdienste feiern, geistliche und weltliche Konzerte durchführen und inhaltlich mitgestalten. Die Konzertanfragen für die Laurentiuskirche übersteigen bei Weitem, was realisierbar ist. Während meiner vielen Dienstjahre erlebte ich 17 Pfarrer und Pfarrerinnen, 8 (?) Vikare und Vikarinnen sowie Generationen von Kirchenvorständen. Viele gute, erfüllte Jahre, aber manchmal auch nervige Herausforderungen. Zu einem Drittel war mein Arbeitsauftrag für Aufgaben im Dekanat bestimmt. Innerhalb dieses Auftrags unterrichtete ich sehr gerne die zahlreichen OrgelschülerInnen in den verschiedenen Gemeinden. 10 Orgel- (1 Pop-Piano-) SchülerInnen absolvierten seit 2003 die D-Prüfung. Die Zusammenarbeit mit dem Kantorenteam Bergstraße war mir immer eine große Freude. Herzlichen Dank euch Kollegen und Kolleginnen!
Eine lange Dienstzeit geht nun für mich zu Ende. Gute und weniger gute Zeiten. Dankbar darf ich auf ein gut „bestelltes“ Feld schauen und auch reichlich ernten. Ich danke allen von Herzen, die mich die vielen Jahre begleitet und unterstützt haben.
Das vergangene Jahr zwang uns, auf Abstand zu gehen. Chorproben, Konzerte, Treffen der Gruppen waren kaum möglich. Mit Wenigen durften wir in den Gottesdiensten für die Gemeinde singen. So ging es für mich langsam auf Abstand. Ihr Lieben, ich vermisse euch schon jetzt und es wäre schön, weiterhin in Kontakt zu bleiben. Konkrete Pläne, wie ich meinen Ruhestand gestalten werde, habe ich noch nicht. Erst einmal freue ich mich auf die große Freiheit, ungebunden und ohne Terminstress in den Tag hinein zu trödeln und mit meinem Mann, unseren Familien und Freunden noch gute Jahre zu erleben. Ach ja, die Zeit als „Vollzeitmama“ ? Unsere zwei Jungs sind schon lange aus dem Haus. Köchin und Konditorin? Da lebe ich mich privat voll aus … Und mein Heiner? Ihr ahnt nicht, wieviel er all die Jahre für mich (und Seeheim) geleistet hat. Gebaut, repariert, beraten, IT-Fachmann, Konzerte mitgeschnitten, meine Nerven beruhigt, unendliche Geduld gezeigt, sich allen Ärger angehört, meine künstlerische Verrücktheit ertragen, die Liste ginge noch weiter …

Ich freue mich sehr, dass die Kirchenmusik in Seeheim-Malchen und im Dekanat mit meiner Nachfolgerin, Michaela Kögel, weitergeführt wird. Ich wünsche ihr einen guten Neustart. Der Gottesdienst zu meiner Verabschiedung wird am Sonntag 30. Mai um 17 Uhr in der Kirche stattfinden. In welchem Format, ist zu Pandemiezeiten nicht vorhersehbar. Herr Braun wird einen Mitschnitt des Gottesdienstes als DVD erstellen. So können alle, die nicht präsent in der Kirche sein dürfen, den Abschiedsgottesdienst zu Hause anschauen und anhören. Anstelle von Grußworten und Geschenken würde ich mich sehr über einen Gruß in schriftlicher Form (und Foto) freuen. Lebt wohl und bleibt behütet! „Bitte seufzen …“

Marion Huth