Gräber von Seeheimer Pfarrern auf dem Alten Friedhof

Einem Artikel in der März-Ausgabe des Gemeindebriefs LAURENTIUS war zu entnehmen, dass die Nutzungsrechte der Evangelischen Kirchengemeinde an den Grabstellen von drei Seeheimer Pfarrern jetzt ablaufen und aufgegeben werden. Bevor die Grabstellen abgeräumt werden, will ich an Leben und Wirken jener drei Pfarrer erinnern, deren Andenken inzwischen mehr als 100 Jahre sichtbar in Ehren gehalten wurden.

Ludwig Bernhard Fischer (14.08.1818- 05.10.1883) war von 1856 bis zu seinem Tod als Pfarrer in Seeheim tätig. In Darmstadt geboren als Sohn des Hofoffizianten Bernhard Fischer, war er nach Abschluss des Theologiestudiums zunächst als Verwalter in Queckborn tätig, 1844 in Nauheim und 1844-1849 als Vikar in Wixhausen. Anschließend war er Garnisonsschulmeister und Garnisonsfreiprediger in Darmstadt und wurde dann 1856 mit der Pfarrstelle Seeheim betraut. Die Seeheimer Pfarrstelle war in Anbetracht der Sommerresidenz des Großherzogs 1854 zur Hofpfarrstelle erhoben worden und wurde von da an unmittelbar vom Kabinett besetzt. Pfarrer Fischer war verheiratet mit Sophie geb. Walther.
Pfarrer Fischer sammelte ein Großteil des seinerzeit verfügbaren Wissens über die Geschichte Seeheims und der Tannenburg und hielt seine Kenntnisse in der von ihm begonnenen Pfarrchronik fest. Jährliche Eintragungen in der Pfarrchronik finden sich von ihm für die Jahre 1859-1870. Diese Eintragungen geben regelmäßig Auskunft über Witterung und Ernte eines Jahres, über den Holzertrag der Waldungen und die Nutzungen der Ortsbürger, darüber hinaus dann zu besonderen Ereignissen und Arbeiten in der Gemeinde wie z. B. Reparaturen des Schulgebäudes oder die Einstellung eines Gemeindearztes. Leider brechen die Aufzeichnungen von seiner Hand 1870 ab. Nicht nur mit der Gründung einer Kleinkinderschule hat Pfarrer Fischer sich um Seeheim verdient gemacht. Mehrere Jahre warb er für die Kleinkinderschule, die Vorläuferin des Kindergartens, und sammelte dafür Spenden, bis sie schließlich am 28. Oktober 1877 im neuerbauten Haus Mühltalstraße 1 eröffnet werden konnte. Als Vorsitzender des Schulvorstandes hatte Pfarrer Fischer es 1860 erreicht, dass die Industrieschule wieder ins Leben gerufen und der Unterricht dort am 5. Januar 1861 mit 70 Schülerinnen begonnen werden konnte.

Pfarrer Fischer starb wenige Wochen nach Vollendung des 65. Lebensjahres und wurde östlich vom Kirchturm auf dem Friedhof beigesetzt. Seine Frau Sophie Fischer geb. Walther wurde an seiner Seite bestattet, nachdem sie im Jahr 1900 im Alter von 82 Jahren gestorben war. Sie bestimmte in ihrem Testament einen Betrag von 250 Mark für die Kirche Seeheim zur Unterhaltung der Fischerschen Grabstätte.

Dr. Carl Julius Roemheld (25.05.1826- 17.05.1890) war als Pfarrer direkter Nachfolger von Pfarrer Fischer in Seeheim. Geboren in Leihgestern wuchs er in einer kinderreichen Pfarrerfamilie auf, kam mit 17 Jahren zum Theologiestudium nach Gießen, war mit 21 Jahren Hilfslehrer am Schullehrerseminar in Friedberg. 1848 promovierte er in Gießen zum Dr. phil. Im Jahr 1852 wurde er Mitprediger in Groß-Gerau und schloss die Ehe mit Agnes Sell. Drei Kinder hatten die Eheleute. Von 1873 bis 1884 war Roemheld Pfarrer in Bingenheim in der Wetterau. „Durch Dekret Sr. Königlichen Hoheit des Großherzogs von Hessen und bei Rhein Ludwig IV vom 29ten Januar 1884 wurde der Unterzeichnete (Carl Julius Roemheld) zum Pfarrer von Seeheim ernannt“, wie er selbst in der Pfarrchronik festgehalten hat. Als Volksprediger und Schriftsteller war er über die Orte seiner Pfarrertätigkeit hinaus bekannt. Er dichtete Lieder, die er in einer Liedersammlung zusammenstellte. Zwei Bände mit Predigten von ihm erschienen. Das Werk, an dem Pfarrer Roemheld sein Leben lang gearbeitet hat, führt den Titel: Theologia sacrosancta. Grundlinien der biblischen Theologie für Wahrheit suchende Leser der Heiligen Schrift nachgewiesen. Es ist 1889 in Gotha erschienen. Von Wichern angeregt setzte er sich für die Anliegen der Inneren Mission ein. Wie als ein Vermächtnis erschien nach seinem Tod von ihm die Schrift Diakonie und Innere Mission auf dem Lande. Am Sonntag Rogate und an Himmelfahrt hatte er noch in der Seeheimer Kirche gepredigt. Trotz beängstigender Beklemmungen habe er an der Predigt für den folgenden Sonntag gearbeitet. In der Nacht davor aber ereilte ihn der Tod. Sein Grab liegt seitlich von der Südostecke der Kirche. Seine Frau starb drei Jahre später und wurde an seiner Seite bestattet.

Georg Vogel (05.10.1847-28.04.1919) war von 1896 bis 1916 Pfarrer in Seeheim. Er stammte aus Nauheim bei Groß-Gerau. Nach dem Theologiestudium in Gießen und Erlangen und weiterer Studien- und Reisezeit wirkte er von 1875-1882 als Hofkaplan zu Schönberg, dann bis 1896 als Pfarrer in Beuern bei Gießen. Von dort wurde er nach Seeheim berufen und blieb auch nach Versetzung in den Ruhestand 1916 hier wohnen. Georg Vogel engagierte sich in religiösen Versammlungen und bei der Organisation von Missionsfesten mehr für die Heidenmission als für die Innere Mission. Er verstand sich als beauftragten Vertreter der Kirche, der zugleich Verantwortung in der bürgerlichen Gemeinde wahrnahm und sich als Patriot fühlte. Ein Beispiel: Selbstverständlich folgte er der Anordnung des Großherzoglichen Oberconsistoriums, am 21. März 1897 einen Gedächtnisgottesdienst „zur Feier der 100jährigen Wiederkehr des Geburtstages von weiland Kaiser Wilhelm I.“ zu halten. Am Abend desselben Tages hielt er bei einer volkstümlichen Feier im Freien, an der Gemeindevorstand, Kirchenvorstand und Schulvorstand teilnahmen und sich alle Seeheimer Vereine beteiligten, die Festrede. Zum Abschluss der Feier brachte er dann „ein dreifaches Hoch“ auf den damaligen Kaiser Wilhelm II. und den Großherzog von Hessen aus. Pfarrer Vogel betrieb die Gründung eines Kirchenchores, der zunächst 1909 als Frauenchor begann und 1913 zum gemischten Chor erweitert wurde. Fast über seine gesamte Amtszeit bemühte sich Pfarrer Vogel, das Projekt der „inneren Herstellung unserer im Innern recht verwahrlosten Kirche“ auf den Weg zu bringen. Er setzte die vor ihm schon begonnene Sammlung für eine diesbezügliche Spareinlage fort, vermied aber „aus Rücksicht auf die finanzielle Belastung der Gemeinde“ ein drängerisches Vorgehen gegenüber dem Gemeindevorstand. Die Baulast für die Kirche lag seinerzeit vollumfänglich bei der bürgerlichen Gemeinde. 1914 lagen Pläne für die innere Umgestaltung des Kirchenraumes vor, die weitgehend dem viel später 1959/1960 erfolgten Umbau entsprachen. Der Krieg setzte den Plänen ein vorläufiges Ende. Die 1922 erfolgte Renovierung der Kirche beschränkte sich auf die Erhaltung des Bestands. Aus gesundheitlichen Gründen war Georg Vogel ab Sommer 1915 in seinem Dienst eingeschränkt. Zum 1. Oktober 1916 wurde er in den Ruhestand versetzt, zugleich wurde ihm „unter Anerkennung seiner langjährigen treu geleisteten Dienste“ der Ehrentitel Kirchenrat verliehen.

Die Pfarrer Ludwig Fischer, Dr. Carl Julius Roemheld und Georg Vogel waren als Pfarrer für ihre Kirchengemeinde Seeheim bis zu ihrem Lebensende bzw. Dienstende tätig. Darüber hinaus trugen sie Verantwortung in der bürgerlichen Gemeinde. Sie waren Mitglieder im Schulvorstand und Vorsitzende des Vorstandes der Kleinkinderschule. Mit der Kleinkinderschule trug Kirche damals Verantwortung in der Gesellschaft, wo Staat und bürgerliche Gemeinde dies seinerzeit noch nicht als eigene Aufgabe begriffen. Die Pfarrer waren Vertreter in einem System von Thron und Altar. Das sehen wir heute kritisch. Wenn nun aber ihre Namen mit dem Entsorgen ihrer Grabsteine aus unserem Blickfeld verschwinden werden, dann sehe ich das mit Bedauern. Denn es verliert sich auch Erinnerung und Auseinandersetzung mit Geschichte. Vielleicht lässt sich eine andere Möglichkeit finden, Erinnerung wach zu halten – ohne dass die Kirchengemeinde hohe Kosten für die Nutzung alter Grabstellen tragen muss? Die genannten Pfarrer hatten Bedeutung nicht nur für die Kirchengemeinde, sondern auch für das Dorf Seeheim.

Pfr. i. R. Joachim Schließer