Närrisch sein

Im Februar kommen mit den närrischen Tagen die lebensfrohen Tage der Fastnacht, oder wie man auch zu sagen pflegt: Fasching oder Fasnet. Ehe die vorösterliche Fastenzeit beginnt, lässt man es sich noch einmal richtig gut gehen. Da wird gelacht und getanzt, da sind alle verrückt und verkleidet und benehmen sich ganz närrisch. Und da lässt man sich gern auch mal zum Narren machen! Der Narr als eine der wichtigsten Gestalten der Fastnacht kommt ja oft in unserer Alltagssprache vor.
Die Evangelischen waren lange Zeit für die Fastnacht wenig zu begeistern, galt es doch als „etwas typisch Katholisches“. Die Karte der traditionellen Fastnachtsorte war identisch mit der Konfessionskarte in deutschen Landen: wo man katholisch war, wurde gefeiert, war man überwiegend evangelisch, wurde Fastnacht ignoriert. Nur in der alemannischen Stadt Basel, einer eindeutig protestantisch geprägten Stadt, feiern auch die Protestanten schon lange freudig Fastnacht. Noch heute gilt die Basler Fastnacht als etwas ganz Besonderes mit ihren eindrücklichen Masken und Riten. Auch hiesige Evangelische steigen gern in Bahn oder Bus und machen sich auf zu einem Besuch der farbenfrohen alemannischen Fastnacht.
Warum die Evangelischen im Allgemeinen nicht so gerne Fasching feierten, erfahren wir aus alten Dokumenten. Ab der Reformation hat man versucht, die alte Fastnacht abzuschaffen. „Mummerey und Tantzen sollen nitmehr gestattet sein“, heißt es in einem Ulmer Ratsprotokoll aus dem Jahr 1579. Unter dem Schutz der Masken schienen die Narren offensichtlich über die Stränge zu schlagen. „Schreyen, Juchtzgen und Boldern bey der nacht auf der Gassen“, wurde den Narren vorgeworfen, und die Obrigkeit war in den Fastnachtstagen vollauf damit beschäftigt, auf das Einhalten der bürgerlichen Ordnung zu achten.Trotz aller Verbote und auch Strafen bei Zuwiderhandlung ließ sich das närrische Treiben nicht verbieten, und bis ins Jahrzehnt vor dem 30jährigen Krieg kann man in den Ratsprotokollen der Reichsstädte von den reichlichen Aktivitäten zur Fastnachtszeit lesen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts konnte sich dann eine richtige Fastnacht entwickeln, gegen den Widerstand der Pietisten: Wer diesen ursprünglich heidnischen Brauch fortführe, so meinten diese, annulliere den Sieg Christi über die Dämonen. Bei den Protestanten musste es eben ernst zugehen.
Die Fastnacht lebt weiter, und auch die Evangelischen haben ihre alten Vorbehalte meistens aufgegeben. Eine der eindrücklichsten Hauptfiguren der Fastnacht ist der Narr. Wussten Sie, dass es auch in der Bibel eine Narrenrede gibt? Die ist nicht nur für Katholiken geschrieben! Der Apostel Paulus schreibt sie im 2. Brief an die Korinther, im 11. Kapitel.
Obwohl selbst geschminkt, sagt der Narr eine ungeschminkte Wahrheit, und zwar so, dass die Menschen dabei lachen. Durch Ironie und Spott nimmt er den anderen die Masken vom Gesicht. Und weil sie ein bisschen verrückt sind, dürfen die Narren auch Wahrheiten sagen, die manchmal wehtun. Sie beherrschen die Kunst, traurige und ernste Wahrheiten mit einem kleinen Augenzwinkern kundzutun. Und sie stehen mit Leidenschaft zu dieser Wahrheit. Sie machen sich selbst zum Gespött, um die Falschheiten und Halbwahrheiten aufzudecken. Deshalb gibt es viel Spott in diesen närrischen Tagen, und viel Gelächter.
Paulus war ein Mensch, der in Christus „vernarrt“ war. Er wollte die Wahrheit von Gott ans Licht bringen, aus Liebe zu den Menschen. Und wer seine Schriften liest (zu finden in den Briefen des Neuen Testaments), der empfindet tatsächlich: der berühmte Apostel war ein Gottesnarr, ein Christusnarr. Wenn das durchscheint, dass es um die Wahrheit geht, da gefällt mir der Narr und sein närrisches Treiben. Wo die Masken uns einen Spiegel vorhalten, in dem wir uns selbst erkennen, da schaue ich sie mir gern an.
Vielleicht fahre ich auch einmal nach Basel oder Rottweil, zur alemannischen Fastnacht!
Doch für heute reicht’s, denn: „Wo viele Worte sind, da hört man den Narren“, heißt es im Buch der Prediger, 5,2.

Ihre Pfarrerin Eva-Maria Loggen