Text von Dr. Melanie Rohn

„Ich ging heute einkaufen und stellte fest, dass die Menschen, die mir in den Gängen des Ladens begegneten, fast alle sehr angespannt waren. Ja, wir erleben eine Situation, wie es sie bisher noch nie gegeben hat. Niemand weiß, wie es ausgehen wird. Alles ist ungewohnt, die Kinder sind zu Hause, die Eltern im Home-Office, in Kurzarbeit oder plötzlich ganz ohne Arbeit. Andere sind beruflich noch mehr gefordert als sonst, die Kassiererinnen, und diejenigen, die in der Pflege oder in Krankenhäusern oder bei Hilfsdiensten oder Lieferdiensten arbeiten.

Die gewohnte Ordnung ist nicht mehr da. Ja, wir alle sind aus der Ordnung gefallen, aus der Ordnung, die wir selbst aufgebaut hatten, aus der Ordnung des stets Funktionieren Müssens, des immer mehr und immer schneller Produzierens, aus der Ordnung der chronisch verstopften Straßen, aus der Ordnung der ständig zum Wachstum verpflichteten Wirtschaft.

Eine Ordnung haben wir dabei übersehen: Die Ordnung, die allem zu Grunde liegt. Die Ordnung unserer Welt, unserer Erde, unseres Sonnensystems, unserer Natur. Die Ordnung, die jetzt gerade die Tage wieder länger werden lässt, die die Blumen aufblühen, die grünen Triebe wachsen, die Vögel singen lässt. Diese Ordnung ist es, von der und mit der wir eigentlich leben. Ohne sie gäbe es gar keine Lebensmittel, keinen Rhythmus von Tag und Nacht, von Frühling, Sommer, Herbst und Winter, keine Großeltern und keine Enkel, keine Liebe und keine Freude, keine Tränen und kein Lachen, kein Schimpfen und kein Staunen, kein Leben.

Diese Ordnung, dieser grundlegende Rhythmus möchte uns aufatmen lassen. Er möchte uns Freude schenken über die Farben der kleinen Frühlingsblumen, über den Duft der blühenden Sträucher, über die Vögel, deren Gesang in diesem Frühling so laut und schön zu hören ist, über den warmen Wind und den blauen Himmel. Ob er das schafft in diesem Jahr?

Vielleicht ist unsere Situation ein Signal. Ein Signal, das uns zeigen möchte, welche Ordnung die grundlegende ist. Ein Signal, bevor alles zu spät ist. Ein Signal, noch gerade rechtzeitig in Richtung Leben umsteuern zu können. Umsteuern? Geht das denn?

Wir brauchen Heilung. Für die Kranken. Für die, die aus der Ordnung gefallen sind. Für uns alle. Für die ganze Welt.“

Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt, ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt? Freunde, dass der Mandelzweig sich in Blüten wiegt, bleibe uns ein Fingerzeig, wie das Leben siegt. (EG 613)

von Dr. Melanie Rohn,
Prädikantin aus Nieder-Liebersbach