Stetiges Wirtschaftswachstum – Was hält unser Planet aus?

Eine hochtourig laufende Wirtschaft ist die Triebfeder der modernen Gesellschaft, und so ist stetiges Wirtschaftswachstum zum Heilsversprechen geworden, während sinkende Zahlen das Bild eines nahenden Weltuntergangs heraufbeschwören. Das erleben wir jetzt im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie wieder besonders eindringlich. Aber schon der gesunde Menschenverstand zwingt uns doch zu der Frage: Stetiges, also unbegrenztes Wirtschaftswachstum, geht das überhaupt? Ich möchte hier versuchen, diese Frage aus der Sicht des Ökologen zu beantworten.
Unsere Erde verkörpert ein den ganzen Planeten umfassendes Ökosystem. Unter einem Ökosystem versteht man ein komplexes, sich selbst regulierendes Netzwerk, bestehend aus einer Lebensgemeinschaft von Organismen, dem Ort, der diese Lebensgemeinschaft beherbergt, den Beziehungen der Organismen untereinander und den physikalischen und chemischen Faktoren, die auf das System von innen und außen einwirken. Alle diese Komponenten stehen in einem Ökosystem miteinander in Verbindung und bedingen einander. Machen wir uns nichts vor. Der Mensch ist nicht Krone, geschweige denn Herr der Schöpfung, sondern aus naturwissenschaftlicher Sicht lediglich eine biologische Spezies der Lebensgemeinschaft des Ökosystems namens Erde. Er ist damit zwangsläufig den Spielregeln unterworfen, nach denen Ökosysteme funktionieren. Die wichtigste dieser Spielregeln lautet: In einem Ökosystem gibt es kein unbegrenztes Wachstum, schlicht weil die für Wachstum erforderlichen Ressourcen (Nahrung, Energie, Wasser, Lebensraum u. a.) begrenzt sind. Ein Ökosystem funktioniert auf Dauer nur solange, wie die verfügbaren Ressourcen und deren Inanspruchnahme sich in einem stabilen Gleichgewicht befinden, ähnlich einem Mobile. Und genau hier liegt das Problem: Ein Teil der Menschheit verbraucht in seiner unersättlichen Gier und Sucht nach Wachstum viel mehr als erlaubt, um unseren Planeten im ökologischen Gleichgewicht zu halten. Das funktionierte bisher aus zwei Gründen. Erstens: Unser Planet verfügt noch über eine stille Reserve an Ressourcen in Form von fossilen Brennstoffen und unberührter Natur, die aber nun vom Menschen zunehmend angezapft wird. Zweitens: Es ist ein relativ kleiner Teil der Menschheit, der unseren Planeten über Gebühr in Anspruch nimmt, während der weitaus größere Teil bescheiden lebt, ja sogar mehr oder weniger darbt. Wer hätte die Zahl nicht schon gehört: Frönten alle Menschen dem Lebensstandard der Industrienationen, würden schon jetzt zwei und ein halber Planet Erde nicht mehr ausreichen, um die Bedürfnisse zu decken. Aber wir haben nur diesen einen Planeten.
Ich möchte die hier geschilderten Sachverhalte mit einem Vergleich aus unserem täglichen Leben auf den Punkt bringen: Wer mit seinem Lebensstil permanent sein Bankkonto überzieht, der bewirkt, dass eines Tages der Überziehungskredit ausgereizt ist und das Konto gesperrt wird. Dann droht das Leben auf der Straße. Und wieder zurück: Dauert das ökologische Fehlverhalten der Menschheit an und überzieht sie so ihr Konto, ist die unausweichliche Konsequenz, dass das Ökosystem Erde in seiner für den Menschen zuträglichen Form kollabieren wird. Dann Gnade uns Gott.
So halten wir denn fest: Stetiges Wirtschaftswachstum kann es aus unumstößlichen ökologischen Gründen nicht geben. Menschlicher Hochmut, diesen Sachverhalt umbiegen zu wollen, muss in einer Katastrophe enden. Es gibt nur einen Ausweg, diese zu verhindern: Die Menschheit muss künftig den Gürtel enger schnallen und ihre Lebensweise im Sinne ökologischer Verträglichkeit ändern, und dies weltweit. Unsere Kirche bietet in diesem Zusammenhang immer wieder Aktionsprogramme an, z. B. die jährliche Fastenaktion „So viel Du brauchst“. Die Förderung des ökologischen Bewusstseins muss fester Bestandteil der Kindererziehung und aller Bildungsprogramme werden.
Und schließlich: Die zur Verfügung stehenden Ressourcen müssen mit größerer Effizienz genutzt werden. Wege dafür ließen sich finden, denn Gott hat uns Menschen mit Intelligenz ausgestattet und so zu Problemlösungen befähigt. Er hat uns damit zwar keine Sonderstellung im Ökosystem Erde eingeräumt, aber große Verantwortung für dessen Wohlergehen auferlegt. Lasst uns immer dieser Verantwortung bewusst sein und unser Handeln danach ausrichten.

Prof. Dr. Manfred Kluge