Bekennermut – Pfr. G. Reith zum 50. Todestag

Pfarrer Georg Reith

Pfarrer Georg Reith

Der Todestag von Pfr. Georg Reith jährt sich am 30. November zum 50. Mal. In einer Zeit des Unrechts und der Barbarei sowie des Kirchenkampfes hat er mit großem Mut und Gottvertrauen ein Beispiel gegeben, was Zivilcourage bedeutet und dabei seine große Familie nicht geschont.

Ab 1932 war Georg Reith Pfarrer in Seeheim und bewohnte mit seiner in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit sehr sozial engagierten Frau Käte und seinen 5 Kindern das Pfarrhaus in der Villastraße. Nur 12 Wochen nach Hitlers Machtergreifung, am Karfreitag 1933, wurde er erstmals angezeigt und diffamiert wegen seiner Predigt über den Unterschied zwischen Hakenkreuz und Christenkreuz. Die Verteidigung des Evangeliums und des christlichen Weltanschauungsgutes gegen die Irrlehren des Nationalsozialismus führten zu vermehrten Spannungen mit der staatlichen Obrigkeit und 1935 zur ersten von mehreren Verhaftungen. „Die Konflikte mit der Partei konnten aber nicht aufhören. Man nahm Anstoß an meinem Gruß Grüß Gott‘ statt ‚Heil Hitler‘, an dem Unterlassen des üblichen Gebets für den Führer, an meinem Versagen in der Glorifizierung der Erfolge der Partei durch Erwähnung in der Predigt, durch Nicht-Flaggen oder Nichtläuten mit den Glocken. Ich nahm Anstoß an dem Missbrauch der Jugend für gegenchristliche Propaganda und erhob Einspruch einzeln und öffentlich.“ …  Meine Predigten wurden sonntäglich überwacht, ja sogar geheim durch den fünfzehnjährigen Schreiber unseres Bürgermeisters und Ortsgruppenleiters bespitzelt.“Nach seiner erneuten Verhaftung 1940 entzog ihm seine Landeskirche jegliche Loyalität wie sich aus dem gekürzten Brief vom 22.4.1940 ergibt:

Evang. Landeskirche Nassau – Hessen                             Darmstadt, den 22.April 1940.

Der Präsident des Landeskirchenamtes

 

                     Betreff: Pfarrer Georg R e i. t h   Seeheim a.d.B.  E i n s c h r e i b e n.

 

An Herrn, Pfarrer Georg Reith aus Seeheim a.d.B.

durch die Geh. Staatspolizei, Staatspolizeistelle in Darmstadt, Neues Palais

 

Sie sind zum zweiten mal während des Krieges wegen staatsabträglichen Verhaltens von der Geh. Staatspolizei in Schutzhaft genommen worden, nachdem Sie bereits im Jahre 1935 aus dem gleichen Grunde kurze Zeit verhaftet waren. Eine gedeihliche Führung Ihres Pfarramtes in der Gemeinde Seeheim ist Ihnen hiernach nicht mehr möglich. Nach Ihrem vor und namentlich während des Krieges zu Tage getretenen Verhalten, das zu den genannten staatspolizeilichen Massnahmen geführt hat, lassen die Gründe, die Ihrem Verbleiben in der Gemeinde Seeheim entgegenstehen, eine erspriessliche Tätigkeit in anderen Pfarrstellen zunächst nicht erwarten. Ich beabsichtige daher Sie gemäss § I Abs. … in den Wartestand zu versetzen. … Gleichzeitig beurlaube ich Sie, gemäss §2 Abs. 4 a.a.0. bis auf weiteres von Ihren Dienstgeschäften. Sie haben sich daher jeder Amtstätigkeit in Seeheim zu enthalten.

. gez. Kipper

Daraufhin bewarb sich der 53-jährige Reith in einer anderen Landeskirche. In der Württembergischen Landeskirche war er zunächst in der Krankenhausseelsorge tätig, dann ab 1943 als Ortspfarrer in Oferdingen/Reutlingen. Er riskierte erneut Kopf und Kragen und schloss sich der Württembergischen Pfarrhauskette an, die in ihren Häusern Juden und andere Verfolgte aufnahmen, sie weiterschleusten oder deren Identität verschleierten, um sie vor dem Zugriff der Nationalsozialisten zu verbergen. So auch das Ehepaar Max/Ines Krakauer, die sich bei Reiths vom 22.11. bis 1.12.1944 versteckten und ihre Flucht über viele Pfarrhäuser nach 1945 literarisch verarbeitet haben.

Renate Stegmaier, geb. Reith, die jüngste Tochter, zeigt die damaligen Lebensumstände dramatisch auf:

„Meine erste Erinnerung im Zusammenhang mit der schweren Zeit des Kirchenkampfes geht noch auf ein Erlebnis vor dem ‚Dritten Reich‘ zurück als Kommunisten unser Haus umstellten und riefen: ‚Nieder mit der schwarzen Polizei!‘ Mit 12 Jahren musste ich dann meinen Vater zum ersten mal im Gefängnis besuchen und sollte ihm durch ein zwischen meinen Fingern verborgenes, zerknülltes Papier eine Nachricht übergeben. Mit zitterndem Herzen ging ich ins Gefängnis, alle 10 oder 20 Schritte fiel eine Tür hinter mir zu – bis ich endlich bei Vater war. Dieser Besuch, wo ständig eine Tür hinter mir zufiel und ich dazwischen gefangen war, waren jahrzehntelang meine Albträume.

Die Gestapo suchte uns oft auf, wir wurden beobachtet und bespitzelt, Hausdurchsuchungen nach belastendem Material waren an der Tagesordnung, selbst der Instrumente unserer Jugendgruppe wollte man auf diese Weise habhaft werden, wir hatten sie aber in der Nacht vorher unter dem Dach der Hütte im Pfarrgarten versteckt. Vater hörte ausländische Sender, darauf stand die Todesstrafe. Wir beherbergten Juden, darauf stand ebenfalls die Todesstrafe. Mein Leben bestand aus Angst, Angst und nochmal Angst.

In der Schule war ich ab den Verhaftungen isoliert, jeder fürchtete mit mir Kontakt zu haben. Verachtung und Distanzierung, das Wispern hinter meinem Rücken machten mir das Leben zur Qual. Nach dem Exil nach Württemberg kam ich in Heidenheim in eine Klasse, in der alle beim BDM waren. ln meiner Verzweiflung, wieder isoliert zu sein, entschloss ich mich, Dienst im BDM zu machen, ohne Mitglied zu sein und musste natürlich dauernd fürchten, entdeckt zu werden. … Auch in Oferdingen, Vaters neuer Pfarrstelle, gingen die Anzeigen gegenüber dem Pfarrhaus weiter. Ein Lehrer musste etwas über unsere Vergangenheit herausbekommen haben. Er beschuldigte uns, nicht ausreichend zu verdunkeln in der Absicht, dem Feind dadurch zu helfen. Das wäre weiter nicht so schlimm gewesen, aber ein feindlich gesinnter Nachbar bedeutete für uns eine große Bedrohung, denn das Pfarrhaus war mittlerweile zu einem Glied der ‚unsichtbaren Kette‘ geworden, einer geheimen Organisation der Bekennenden Kirche, durch die untergetauchte Juden vor dem Zugriff des Staates geschützt wurden. Auch bei uns fanden immer wieder solche unglückliche Menschen für eine Nacht oder mehrere Tage Unterschlupf, bevor sie zum nächsten Versteck weitergereicht werden konnten.

In dieser Zeit hatte ich die schlimmsten Angstzustände. …

Durch all das Erlebte waren wir zu Außenseitern geworden. Warum waren wir anders als die anderen? Ich meine, es war wohl der Tiefgang in allem, der uns unterschied, wir waren zu beschwert, die anderen zu unbeschwert – das trennte uns.“

1946 kehrte Pfarrer Reithaus dem Exil zurück nach Seeheim und amtierte noch bis 1952. Nach dem Tod seiner ersten Frau Käte verheiratete er sich 1949 mit Maja Lauckhard. Jahrelange Verfahren um Entschädigung zehrten an seinen Kräften. Auf Anregung des Gemeinderates von Seeheim wurde ihm am 19.7.1963 das Bundesverdienstkreuz verliehen, eine späte Genugtuung: „Dieser Pfarrer, der den Mut hatte, für seine Überzeugung auch jederzeit zu leiden, habe ganz besondere Verdienste an Volk und Staat“, erklärte der Landrat bei der Überreichung.Mit dem Motto der diesjährigen ökumenischen Friedensdekade (9.-19.11.) „Befreit zum Widerstehen“ hätte sich Georg Reith bestimmt voll und ganz identifizieren können, „Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit“, heißt es im 2. Timotheus-Brief, Kap.1, Vers 6 und 7.

Hans Hrausek